Die Solätte wird es nie mehr geben

Die Burgdorfer Solennität, dieses traditionelle Jugend-, Blumen- und Volksfest, findet immer am letzten Junimontag statt. Eigentlich kein Fest, sondern ein seit Generationen bestehendes Ritual, mit dem sich die Stadt an der Emme selber zelebriert, am Morgen feierlich, am Nachmittag heiter, am Abend ausgelassen. Es ist ein Stück Burgdorfer Identität. Es IST Burgdorf.

 

Heute wird Identitätspolitik allerdings an anderen Fronten und mit anderen Farben ausgetragen, zudem sind wir von der spätbürgerlichen Ära ins Corona-Zeitalter übergetreten. Dass der Anlass sowohl letztes als auch dieses Jahr nicht stattgefunden hat, war epidemiologisches Gebot der Stunde. Den Burdgorfern blieb keine andere Wahl, als zweimal auf ihre Solätte zu verzichten.

 

So hat denn gestern der letzte Junimontag des Jahres 2021 ohne Glockengeläut, Blasmusik, Blumengewimmel und Polonaise seinen Lauf genommen. Ein paar wenige Sentimentale wie ich hielten jede zweite Stunde im Tagwerk inne und dachten etwas melancholisch: Heute wäre eigentlich Solätte.

 

Ein Blick in die Chronik zeigt: Das Fest hat auch schon früher nicht jedes Jahr stattgefunden. Einmal war der Grund die Spanische Grippe, einmal die Maul- und Klauenseuche, dreimal eine internationale Krisenlage. Dass die Solennität aber gleich zweimal nacheinander ausgefallen wäre, ist bis vor zwei Jahren nie vorgekommen. Die Corona-Pandemie leistet gründliche Arbeit.

 

Ich denke, das war’s dann gewesen. Glaubt wirklich jemand ernstlich, der Anlass wird nächstes Jahr wieder durchgeführt? Zum einen ist da die Angst vor dem Coronavirus: Keine Behörde dieser Welt will im Moment grünes Licht geben für einen Anlass, an dem sich allenfalls jemand mit dem Erreger infizieren könnte, auch wenn die Gefahr im Sommer und unter freiem Himmel gleich null ist. Zum andern gibt es ja auch enorm viel zu organisieren jeweils, für die Behörden, den Ausschuss, die Verwaltung, den städtischen Werkhof, die Lehrerschaft. Davon war man nun zwei Jahre lang befreit.

 

Eigentlich ganz angenehm. Vor allem, wenn man bedenkt, dass das Fest in den letzten Jahren und Jahrzehnten für viele Jugendliche, deren zugezogene Eltern der Solätte emotional nichts abgewinnen konnten, ohnedies nur eine Pflichtübung war. Und nicht der festliche Höhepunkt des Jahres wie anno dazumal. Man hat ja auch sonst so viele Vergnügungen zu absolvieren, vom üppigen Kindergeburi über den Europapark und der Thailandreise bis hin zu den zahlreichen Festivals und Partys allüberall, da wirkt ein Fest wie die Solätte auf die Verwöhnten bloss altbacken und doof.

 

Deshalb meine Prognose: Es gibt keine Solätte 2022. Und keine Solätte 2023. Zeiten ändern sich, Traditionen gehen verloren, neue bilden sich. So ist es auch der Hühnersuppe ergangen, dem in der Barockzeit wichtigsten Fest in Burgdorf. Heute existiert es bis auf den mittäglichen Suppenverkauf über die Gasse jeweils am ersten Samstag im Februar nicht mehr.

 

Und wenn ich es mir genau überlege, hat ein unschuldiges Volksfest wie die Solätte in Zeiten von Maskenpflicht, sozialer Distanz, Reinheitszertifikaten und der engagiert diskutierten Frage, warum Genesene nur sechs und Geimpfte dagegen zwölf Monate als immun gelten dürfen, tatsächlich keinen Boden mehr unter den Füssen. Unter solchen Umständen mögen kommerzielle Fussballevents und Social-Distancing-taugliche Jazzfestivals allenfalls überleben, die Solätte leider nicht.