Der Schlächter von Andermatt

Der 19-jährige Walter ist ein Neuling, ein blutiger Anfänger im wörtlichen Sinn. Erst vor gut einer Woche hat ihm der Drillmeister nach kurzer, aber gnadenloser Ausbildungszeit Schwert, Dolch, Spiess und Kriegsgewand ausgehändigt.

 

Walter ist hier, weil ihn sein Vater an einen Werber vermittelt hat. Für ihn hat es auf dem kleinen Bauernhof im Urner Dorf Andermatt keinen Platz mehr.

 

«Ein Maul weniger zu stopfen, ein bisschen Geld für mich und grosse Abenteuer für dich in welschen Landen»: Mit diesem nüchternen Segen und einem Schulterschlag hat der Vater seinen jüngsten Sohn auf die lange Reise zu Fuss über die Alpen in den Süden geschickt.

 

Nun sitzt Walter mit zwei seiner Kameraden am Tisch unter freiem Himmel, sieht, hört und staunt. Langsam und milde breitet sich die norditalienische Sommernacht über dem Heerlager der eidgenössischen Reisläufer aus.

 

«Holla, du gieriger Saufsack, schluck nicht auch noch gleich den ganzen Krug mit, wir wollen ihn schliesslich nachfüllen lassen», ruft Konrad.

 

«Halt dein Karpfenmaul. Kannst froh sein, dass ich dieses Weinpintchen nicht auf deiner faulen Birne zertrümmere!», antwortet Ulrich mit gerötetem Gesicht.

 

«Versuch’s nur, dir werd ich die dampfenden Kutteln mit blosser Faust aus dem Arsch reissen», bellt Konrad zurück. Aber Ulrich hört bereits nicht mehr hin. Er ist unter dem Tisch verschwunden und taucht nach einer Weile wieder auf.

 

«So, jetzt ist mir wieder wohl», ächzt er. Kommt, jetzt machen wir uns über den zweiten Krug her wie weiland die Türken über Konstantinopel. Gut, hast du daran gedacht, Konrad, und gleich drei dieser mickrigen Kännchen bestellt. Die sind aber auch geizig, diese welschen Marketenderinnen! Bei uns zu Hause in Schwyz, da sind die Weinkrüge mindestens so gross wie der Brunzhafen der Grossmutter, verflucht will ich sein!»

 

«Und ich will verflucht sein, wenn du mir nicht sagst, was du da vorhin unter dem Tisch gemacht hast.» «Was bist du nur für ein begriffsstutziger Zugochse. Eine würzige Ladung geschissen hab ich natürlich, und dann den Arsch mit dem Saum deiner Hose gewischt!»

 

«Du sumpfkotige Sau du! Wirst wohl nicht, sonst sorge ich nämlich dafür, dass du gleich wieder unter den Tisch kriechst wie die böse Schlange in der Schrift und den ganzen Unrat bis auf das letzte Fitzelchen aufschleckst! Wäre ja noch schöner, über deinem madigen Misthaufen diesen doch immerhin recht süffigen welschen Wein zu schlürfen!» Konrad ist aufrichtig empört und hat schon die Faust am Knauf seines Katzbalgers.

 

«Kannst ruhig sein, Kamerad. Ich weiss, was sich gehört», beschwichtigt ihn Ulrich. «Wenn ich scheisse, dass scheisse ich ins Bett meiner Hure, aber sicher nicht unter den Tisch meiner zwei besten Kameraden. Mir ist da vorhin ein Florentinerchen unter den Tisch gefallen, das wollt ich wieder aufheben. Es wäre schade darum.»

 

«Wo hast du denn das Goldglitzerchen her?», erkundigt sich Konrad neugierig. «Hab gemeint, du hättest alles versoffen.» Ulrich grinst. «Hab heute Beute gemacht, auf einem Bauernhof. Ich musste vor den Augen der Alten ein Schaf aufschlitzen und ihre Kleine, vielleicht drei oder vier Jahre alt, lebend an die Tür nageln, bis sie mit der Münze herausrückte. Dann hab ich ihr auf den Kopf gehauen, dass sie umgesackt ist, und die elende Hütte abgefackelt.»

 

«Dummes Zeug, du zweifach kastrierter Schweinefurz und Lügenpapst, du hast das Geld von mir geliehen», dröhnt plötzlich ein rauer Bass von der Seite her. Alle drei schauen hoch. Da steht Zenz Ackermann, der Rottmeister, ein vierschrötiger, muskelbepackter Kerl, braungebrannt fast wie ein Welscher, mit einem gewaltigen schwarzen Bart und einer grossen Narbe an der Stirn. Wuchtig bauschen sich seine geschlitzten Ärmel, ausladend beschattet der federgeschmückte Schlapphut seinen Schädel.

 

Auf dem Schlachtfeld steht Ackermann seinen Mann am Bidenhänder, dem zweihändigen Schwert. Gewaltig pflegt er mit dem Gassenhauer in die Feinde hineinzumähen, als wären es bloss Getreidegarben auf seinem heimischen Acker in Nidwalden. Er ist auch bei den eigenen Leuten gefürchtet; bei Raufhändeln am Zechtisch sorgt er für Ordnung, indem er die Streithähne mit blosser Faust bewusstlos schlägt. Meist benötigt er dazu bloss einen Hieb.

 

«So, ihr drei Spitzbuben und Malefizgesellen, ich setz mich mal ein bisschen zu euch», dröhnt er, nimmt auf der Bank neben Ulrich Platz, lässt derb einen fahren, packt einen der beiden noch vollen Krüge und leert ihn redlich in einem Zug.

 

«Keine Angst, Männer, ich bestell dann nach», sagt er, nicht ohne vorher grollend gerülpst zu haben. «Schliesslich bin ich Doppelsöldner.» Lachend klopft er an seinen Bidenhänder, von dem er sich nie trennt. «Heute wollen wir Wein saufen, morgen werden wir wohl Blut saufen – morgen geht es schliesslich zur Schlacht. Sauft, Brüder, sauft, hurt und würfelt noch ein bisschen, denn vielleicht sind wir schon morgen kalt und tot.»

 

Ackermann blickt in die Runde, hinüber zu den Tischen, wo andere Reisläufer grölen und pokulieren. «Hört ihr mir zu, ihr vermaledeiten Buhlböcke und Hodenmelker? Vielleicht sind wir morgen schon bleich und tot! Vielleicht sind wir morgen schon bleich und tot!» Er skandiert es laut und lauter, dazu schlägt er mit gewaltiger Faust im Takt auf den Tisch, dass die Weinkrüge nur so hopsen und tanzen.

 

«Vielleicht sind wir morgen schon bleich und tot, du und ich und die ganze Reih’!» Nach und nach fallen die anderen ein, laut und rau ertönt im Feldlager das alte Landsknechtslied, das die deutschen Söldner auf der Gegenseite jetzt wohl auch singen, denn es ist wahrlich ein Hundeleben im ständigen Angesicht des Todes, vor einer Schlacht ganz besonders.

 

Walter sitzt nur, hört zu und staunt. Das ist also das Reisläuferleben, das sind die Abenteuer, die ihm sein Vater versprochen hat. Walter ist weiss Gott kein Zärtling, sondern ein abgehärteter Bauernjunge aus den Urner Bergen, aber was er in den letzten Tagen alles gesehen, gehört und erlebt hat, lässt ihn schaudern – und er ahnt, dass es noch viel schlimmer kommen wird.

 

(Dies ist das erste Kapitel meines entstehenden neuen Buches. Ein historischer Roman soll es werden, mit einem jungen Schweizer Söldner als Protagonist. Na, jetzt wollt ihr sicher mehr lesen, oder? Ätsch – Pech gehabt. Ich plane gar keinen solchen Roman. Ich wollte nur mal eben ein bisschen Dampf ablassen. Wobei: man kann nie wissen)