Kapitel 14

Der Winter ist streng. In dicken Schichten liegt pulvriger Schnee auf Wald und Feld, und die Wasserfälle an den Felsen sind zu bizarren Eisgebilden erstarrt. Der Frost hat den Fluss glasig versiegelt, und durch den Hochnebel, der nie mehr weichen zu wollen scheint, schimmert blass und kalt die Altjahrssonne.

 

Das Christfest, das für einen kurzen Augenblick Licht ins Dunkel getragen hat, ist vorbei. Nun regiert Stille die Tage, auch auf Schloss Weissenstein. Die Instrumente der Musiker sind verstummt, und gesprochen wird kaum mehr, als im täglichen Verkehr unbedingt nötig ist.

 

Ein Geräusch allerdings kommt nicht zum Verstummen: das dumpfe Poltern, das aus einem verschlossenen und rund um die Uhr bewachten Raum im Schloss ertönt, Tag und Nacht, Tag und Nacht, Tag und Nacht, immerzu und ohne Unterbruch.

 

Der beharrliche Rhythmus ist im ganzen Schloss zu hören, je nach Standort lauter oder leiser, aber er ist allgegenwärtig, durchpulst das Mauerwerk unermüdlich und hält das winterstarre Herrschaftsgebäude am Leben wie ein mechanisches Herz.

 

In der Dienerschaft haben sich um das «verbotene Zimmer» längst Gerüchte, Schauergeschichten und Legenden gebildet. Eine Mär will wissen, dass der Schlossherr und der Ingenieur darin Hexerei trieben und versuchten, das Elixier der ewigen Jugend zu brauen, eine andere spricht von einem geheimnisvollen Gefangenen, der mittels einer neuartigen Maschine einem pausenlosen Verhör unterzogen werde.

 

Andere wissen jedoch, dass hinter der verschlossenen Tür eine Erfindung geprüft wird, die einzigartig sein soll und dem Herrn Ingenieur zuvor in Merseburg nur ungläubiges Kopfschütteln und Spott eingetragen hat.

 

Achtundzwanzig Tage muss sich die Maschine ohne Fremdeinwirkung und ohne Unterbruch bewegen, lauten die Vorgaben des Testlaufs. Nun sind aber bereits achtundvierzig Tage verstrichen, und der Apparat läuft wie geschmiert einfach weiter und weiter.

 

Es scheint, als interessiere sich im Moment niemand mehr für das grosse Experiment. Doch hin und wieder, so alle drei bis vier Tage, erscheinen zwei Kommissionsmitglieder, öffnen die Tür, kontrollieren den Mechanismus, schreiben ihre Beobachtungen in ein Protokoll, verschliessen und versiegeln die Tür wiederum sorgfältig und ermahnen den im Korridor postierten Diener, in seiner Wachsamkeit nur ja nicht nachzulassen und jeder erdenklichen Person vom Schlossherrn bis hinunter zum Stallknecht – besonders aber dem Herrn Ingenieur Bessler – den Zutritt zum Raum strikte zu verwehren.

 

(…)

 

(Hans Herrmann, aus «Albdrücken», Mystery-Roman, Landverlag, 2008)