Das verrückt machende Unverrückbare

Neuerdings beschäftigt mich ein Gedanke mit seltsamer Eindringlichkeit. Zunächst einmal erscheint die Frage alltäglich, geradezu banal: Was wird, sagen wir einmal, in zehn Jahren sein? Wie wird sich die Welt bis dahin verändert, was werde ich noch alles erlebt und geleistet haben, wie wird es meiner Familie, meinen Freunden, meinen Bekannten gehen – und so weiter?

 

Wenn ich es jetzt schon wüsste, wäre ich Hellseher. Wissen werde ich es erst in zehn Jahren. Dannzumal aber genau. Denn es wird exakt so sein, wie es sein wird. Nicht anders – keinen Millimeter anders. Exakt so, wie es sein wird.

 

Diese Tatsache aber verleitet mich zur Überlegung, dass das, was sein wird, in seiner gedanklichen Form schon jetzt existiert, eben gerade weil es ohne jeden Zweifel sein wird. Das Wie wissen wir zwar noch nicht, aber immerhin das Dass. Ich bin, der ich sein werde – so sprach HaSchem aus dem Dornbusch zu Moses. Es scheint, als sei jede Entscheidung, die wir treffen, bereits in einem kosmischen Masterplan vorherbestimmt. Johannes Calvin und seine Prädestinationslehre lassen grüssen.

 

Wo liegt der Denkfehler? Er liegt darin, dass alles Künftige in der Gegenwart noch offen ist. So lehren es zumindest die Chaostheorie, die Quantenphysik und andere Denksysteme. Also kann ich das, was geschehen wird, bis zu einem gewissen Grad mitgestalten. Erst durch mein Zutun wird die Zukunft genau zu der Vergangenheit geformt, die sie in zehn, zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren unverrückbar sein wird. Von welchen Zufällen, Einfällen und Einflüsterungen ich bis dahin gesteuert und inspiriert sein werde, weiss ich nicht. Noch ist alles offen.

 

Und doch gaukelt mir mein Denken beharrlich vor, dass kein Weg an dem vorbeiführt, was später einmal sein wird. Kann ich auch nur ein Atom an der Gestalt ändern, die das Seiende in zehn Jahren rückblickend haben wird? Unverrückbares kann man doch nicht ändern, auch zu dem Zeitpunkt nicht, wenn es noch im Werden ist, oder?

 

Ach, es ist zu verwirrend. Lassen wir also das Grübeln. Was einen am Leben hält, sind eh nicht solch labyrinthische Gedankengänge. Sondern die Hoffnung, dass es zuletzt schon irgendwie gut kommt, wie es auch immer kommen mag.