15. Januar 2023

 

VIELLEICHT

 

es zilpt ein vogel

auf kahlem ast

 

bald schon schwellen die knospen

aber noch

flüstert der nebel

in den erstarrten bäumen

 

am fuss des hügels

ziehen autos hoffnungsvoll

in offene weiten

vielleicht

bis ans mittelmeer


6. Oktober 2022

 

NEBEL UND RAUCH

 

ich sehne mich oft
nach dem herbstnebel
meiner kindheit
und den würzig riechenden
feuern in den gärten

 

aber der nebel kommt nicht mehr
und die feuer wurden verboten


12. August 2022

 

SPÄTSOMMER

 

holunderwasser und apfelwein –
schenk ein!
schon bröckelt still die warme mauer
abgründige zeit liegt auf der lauer
sanft schmilzt dahin der tage schein
und könige werden bettler sein.

 

noch treibt die flamme blüten am stein
noch geigen die stimmen der grillen rein
doch bald schon nagt frost am totengebein –
schenk ein!


28. März 2022

 

KLÄRUNG

 

versunken die schlösser
meiner kindheit
verblüht die magnolien
meiner jugend
ich ergraue im beton
meines spätsommers
und lausche dem bach

der klärung verheisst


19. Februar 2022

 

ORION

 

des winters nadel ritzte

an die himmelsdecke
deine kalte gestalt
seitdem bist du verdammt
unermüdlich zu jagen
das siebengestirn
bis die amsel schlägt


Dienstag, 14. Dezember 2021

 

GÄRTEN

 

wegen meiner reisephobie
war ich nie in japan
ich kenne sie bloss
von spaziergängen auf youtube
die zen-gärten von kyoto

 

mehr begehre ich nicht
denn nichts übertrifft schönes
das man nur erahnt und ersehnt


8. Dezember 2021

 

WARTEN

 

ich höre die flocken fallen
metallisches wispern am hügel
der bach die dunkle schlange
frisst sich durch die kälte

 

durchfroren sinkt der wald
ins weisse bett
und wartet auf die zeit
da er sich wieder regen wird
auf dem grünen beet


19. Oktober 2021

 

NIEDERGANG

 

hoch blühten die türme
des heiligen doms
der unsere heimstatt war
er breitete die arme
segnend über stadt und land
vom meer bis ans gebirge

 

nun aber dröhnen posaunen
am staubgelben himmel
der erdkreis erbebt

vor dem zorn der zeiten

 

die türme verwelken
sie knicken ein wie stroh
zum klang der totenmesse
und im meer versinken
die haine und wiesen
des weiten gartens
der den morgen zur mutter
und den abend zum vater hatte


2. Oktober 2021

 

AMRUM

 

im sand döst ein schulp
wie eine schuhsohle aus kreide
daneben bauscht sich feucht
ein bart aus blasentang

 

leere muscheln öffnen ihr herz
ein hund sammelt treibholz
der bernstein ist bloss eine legende

 

aber ich weiss dass sie wahr ist
wenn ich nach westen blicke
wo der eiweissschaum der see
sich mischt mit dem blei des abends


24. September 2021

 

DAMALS

 

richard netzt die tasten
mit dem tau seiner frage
die kerzen ziehen rauchfäden
lachender pferdegeruch
dringt durch das fenster

 

ich erinnere mich
mit der macht eines sturzbachs
wie es war
als lady di noch lebte


6. September 2021

 

RUINE

 

der tote turm
von wurzeln erdrosselt
kündet von damals
als der sänger im winter
seine laute zertrat
und die amsel im frühling
schöner sang
als der abendstern

 

trübe augen
spähen in den schacht
von unten gähnt es feucht
moos weint
den verstummten zeiten
eine träne nach


23. August 2021

 

SAMSTAG

 

der wahrhaftige tag ist nicht
der sonntag am sonntag
grinst bereits der montag
aus dem morast
mit den sägezähnen
eines krokodils

 

am samstag nur am samstag
ruht die zeit in zeitlosigkeit
und ich
befreit von meiner unrast
bereite eine lachende suppe
aus kartoffeln sellerie und majoran
und einem mocken käse
gereift am fettgrünen hang


12. Juli 2021

 

AXL

 

geröll rockt&rollt
am gärenden wasser
donner ballert
hinter dem horizont
zahnräder fräsen
rostige nieten
aus der stahlbrücke

 

die saite träumt
vom wilden leben
während der hexer
dieser fetzbärtige stilz
aus den boxen
kreischt und gellt
in greller exstase

 

so erlebten wir
im schweiss
nächtlichen fiebers
dichtandicht
im bier&tanzschuppen
die letzten zuckungen
des rock&roll


14. Mai 2021

 

SONNIGER TAG

 

im licht liegen
auf warmen stufen
durchgebogen
das kreuz
eine biene summt
und zwitschert
eine hummel brummt
und grunzt

rrrämmm rrrämmm
ein motorrad
frisst sich durch den frieden


12. März 2021

 

WIEDER SCHÖNER

 

salziger schnee versickerte
träge im asphalt
der himmel frisch poliert

 

lange hatte man nichts gehört
jetzt hörte man erste vögel

 

henry und ich
tranken einen smirnoff
liessen würzigen rauch steigen
zu mozarts klarinettenkonzert

 

henry sagte
es ist einfach wieder anders
ich sagte
die mädchen sind wieder schöner

 

dies war ein frühling
wie er im buch des lebens steht


8. Januar 2021

 

MEIN REFUGIUM

 

regale blecken die zähne
buchrücken an buchrücken
zähne so herrlich kunterbunt
das gebiss der fantasie
die violetten tabak raucht

 

ferner länder heisser atem
moosiger wälder geheimnisse
verheissung in der meeresbrise
wahnsinn am geranienfenster
das zwinkern des lotsen
der zwischen kurvigen dünen
sein süppchen kocht
in schimmernden tiefen stochert
den tiefen der seelenkapseln
die aufbrechen wie kokosnüsse
die aufbrechen wie reisende

 

hier lacht der frühling ewig
hier tanzt der winter aus der reihe
streut koriander in den traum
den ich träume
in der bücherei am eck


17. Dezember 2020

 

TAUBENSCHWANZ

 

zum winterbeginn
flötet der föhn
so milde
und weckt sehnsucht
nach südlichen ufern
mit zypressen
mit orangenbäumen
mit blühenden kamelien

 

herangeweht
als einsames blatt
kurz
und flüchtig
taumelt bunt vorbei
im windstoss
ein insekt wie ein kolibri


20. November 2020

 

ERINNERUNG

 

geflochtene himbeerruten
geschnittenes haselholz
gegerbte kartoffelstauden
und überhaupt alles
was der garten hergibt
an dürrem und brennbarem
aufgeschichtet zum stoss

 

flamme frisst sich
durch das knusperbrot
rauch flattert auf
würzt herrlich den nebel

 

den nebel
den der herbst streute
damals
vor seligen zeiten
als grossvater herr war
über den asthaufen
hinter dem haus


17. Oktober 2020

 

PRELUDE IN SEE-MOLL

 

zum letzten mal
isst man fisch im freien
und nagt an den knochen
des verblichenen sommers
erinnerungen greifen nach mir
mit ihren zärtlichen klauen
am himmel zerschellt
eine flasche goldmilch
magischer spiegel der kelten
das städtchen auf dem sporn
erschauert in gedanken
an den weinleeren spätherbst


9. September 2020

 

BILD

 

grün stürzt der berg
vom blassen himmel
aufragt der campanile
wie eine zypresse

 

häuser aus fels
verkrusten das ufer
mit ihrer wärme
aus ferner zeit

 

moosige milch
ruhig atmet der see
teppich in die weite
eines südlichen traums


14. August 2020

 

BERGWÜSTE

 

wolken gezupft
zu endloser watte
stein gebrochen
aus ewiger wand
narben auf der haut
aus steppengrün
und knochenholz

 

im granit klafft schwarz
der hieb des rächerengels
aufschreit das blut
gletscherblut so weiss
das tosen einer kälte
himmelweit entfernt
von wärme dieser welt


29. Juli 2020

 

HOCHSOMMER

 

der mond ist leer
die nacht streut asche
auf tiefschwarzen samt
die glut des tages
schwelt träge weiter

 

lavendel duftet
essigkraut und majoran
es wetterleuchtet
in ungreifbarer ferne


warten auf regen
die grosse verheissung
unter dem apfelbaum
bin ich geborgen


19. Juni 2020

 

ERWARTUNG

 

da liegt etwas …
etwas in der luft
ein hauch
ein rosengedanke

ein kornblumenblau

und die sanftmut

von seidenem mohn

 

in einem schattigen
einem laubkühlen
geweihten gartenwinkel
wo das holz nur flüstert
wo der kater döst
wurzle ich und reife
reife auf einer erdwolke
dem fest entgegen
dem hohen mittag
dem mittag des jahres


16. März 2020

 

VIRUS

 

lippen brennen
weil sich die hände
zu tode reiben

 

nasen bellen
aus schnabelmasken
unter bangen augen

 

herzen rasen
im container
am strassenrand

 

und im garten
sonnt sich eine meise
in den blausternen


4. Februar 2020

 

DÄMMERUNG

 

dunkelnder himmel
giesst tinte in die blanke iris
wolkenfetzen reissen sich los
vom schwarzen rand der welt

 

mondsichel und abendstern
baden im kalten nordwest
stahlschnur schlägt
im takt des sturms
an den fahnenmast
ting ting ting
wie eine aufgeregte
totenglocke


13. Januar 2020

 

SCHWEIGEN

 

knisterdürres laub
unter der hecke
am sonnigen hang
wo wir uns setzen
zu zweit

 

unser schweigen
ist wie samt
in der blauen wärme
des zu frühen frühlings
im winter-nirgendwo


14. Dezember 2019

 

DUNKELBLAU

 

am bootshafen flüstern
gestrandete kadaver
im milchdunst
einer vergessenen laterne

 

herbstnacht wächst
aus dem wasser
ein warmer wind
wühlt in den pappeln
getrieben vom letzten zorn
des gekelterten sommers

 

und jenseits der wellen
ruhen die lichter der stadt


19. November 2019

 

ZEN

 

an manchen tagen ist es
einfach einfach
nichts weiter als
wolken die oben treiben
unten meine schritte
im spröden laub
und das knacken
von buchnusshüllen


28. Oktober 2019

 

DER WÄCHTER

 

sommer ist vergoren
zum trank des abschieds
der mir so bitter
in die lippen beisst
ein anhauch von grün
glimmt in nasser nacht
und auf dem zaunpfeiler
hält er wache
unser schwarzer kater


15. April 2019

 

GESTERN

 

frisch grünende wiese
am trägen fluss
ein boot schlummert
im uferschilf

 

ich sitze im zug
gefangen
in der fliehkraft
brause vorbei

 

und denke zurück
an frühling vor jahren
als die zeit mir lächelte
die pfade blühten
lang lang ists her
es war gestern


23. Februar 2019

 

BAD IM LICHT

 

liegen auf der erde
ist verschmelzen
mit dem schnee
der von gestern ist
der nicht mehr ist

 

licht regnet
nichts als licht
so weit das auge reicht
licht bis hin
wo hügel graublau ruhen

 

noch sind die äste kahl
der boden knistert
dürres laub vom letzten herbst
ich wandle wie im rausch

 

die sonne hat mich geknetet
bin weich wie wachs
die sonne hat mich gebacken
bin hart wie holz
ich bin