Der Kaffee ist fertig

Nach jahrzehntelangem Lesen und unermüdlichem Analysieren von Krimis und Thrillern habe ich eine erstaunliche Erkenntnis gewonnen, die ich gerne mit euch teilen möchte. Sie kristallisierte sich aus ungezählten typähnlichen Szenen heraus, von denen die folgenden als (erfundene, aber authentische) Beispiele genügen sollen:

 

Der Kommissar nahm einen Schluck aus dem Pappbecher und verzog das Gesicht. Der Kaffee schmeckte scheusslich. – Der Leiter der Soko reichte ihr einen Becher Kaffee. Sie roch daran und stellte die fade Brühe auf den Tisch, ohne davon getrunken zu haben. – «Was, dieses Spülwasser trinkt ihr?», frotzelte der junge Virologe, als er sich vom Automaten des Sheriffs einen Kaffe geholt hatte. – Inspektor Tannwurzer schob die Tasse Kaffe, die ihm seine Sekretärin Resl hingestellt hatte, weg. An diesem Morgen hatte er keine Lust auf diese flüssige Scheisse, die man hier grossspurig Kaffee nannte.

 

Merkt ihr, was ich gemerkt habe? Bei der Polizei, beim FBI und allen Ermittlungsbehörden und Geheimdiensten dieser Welt gibt es keinen anständigen Kaffee! Nirgends, nicht in New York, nicht in Osaka, nicht in Zürich, nicht in Kitzbühel und nicht auf Samoa. Nicht einmal in Mailand oder Rom. Die Kaffeeautomaten in diesen Büros taugen nichts, und noch weniger taugt der Kaffee, den die Ermittler selber brauen. Das Leibgetränk der Detektive ist ausnahmslos fade, unbekömmlich, bitter, scheusslich, giftig, je nachdem, auf jeden Fall aber unzumutbar.

 

Woran mag das wohl liegen?

 

Ich denke, es liegt nicht an den Automaten. Sondern an den Romanciers. Sie haben längst aufgehört, ihre Protagonisten als beamtenhafte, emotionslose und unerschütterliche Staatsdiener in einem stabilen Lebensumfeld zu zeichnen. Menschlich allzumenschlich müssen sie sein, die heutigen Ermittlerinnen und Ermittler. Mit Stress in der Liebe, Problemen mit der drogensüchtigen Adoptivtochter, geplagt von chronischem Asthma und zerrissen von irrationalen Schuldgefühlen ihrer Hauskatze gegenüber. Und bei alledem ausgestattet mit einem fast neurotischen Pflichtgefühl, das sie wochenlang am Schuften hält, ohne richtig zu schlafen und gesund zu essen.

 

Klar, dass man da auch nichts Anständiges zu trinken bekommt. Nur Spülwasser oder Jauche. Denn wer sich im Dienst einer höheren Sache geisselt, sollte es richtig tun. Das Blut muss fliessen, das Erbrochene ebenso.

 

Genau darum geht es: um die rituelle Selbstgeisselung. Früher waren es religiöse Büsser, die sich in ekstatischen Umzügen eigenhändig bis aufs Blut auspeitschten. Damit versuchten sie den Satan zu vertreiben, den Gott in Form einer Seuche geschickt hatte, um die sündige Menschheit zu strafen. Heute sind es nicht mehr Mönche, sondern Fahnder, die das Böse vertreiben. Und Wirtschaftskriminalität, organisiertes Verbrechen, Menschenhandel, Mord und Totschlag sind keine Strafe Gottes, sondern eine Fehlfunktion der menschlichen Software. Dennoch: Bei der Bekämpfung dieser profanen Seuchen ist nicht nur die strenge Logik der Ermittler gefragt. Auch das archaische Ritual muss sein. Denn auch die modernen Dämonen wollen nach den überlieferten Regeln bezwungen werden. Das bedeutet: heiligende Askese für die, die sich dem Bösen entgegenstellen. Die Kriminalbeamten müssen sich geisseln.

 

Das gefällt dem Publikum. Aber gefällt es auch den Inspektorinnen, Fahndern, Kommissaren und Agentinnen? Wollen sie wirklich scheusslichen Kaffe trinken? Man sollte sie einmal fragen.

 

Aber vermutlich ist es in der Wirklichkeit eh anders als in der Fiktion. Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass lückenlos jeder polizeiliche Kaffeeautomat miesen Muckefuck ausspuckt, ist im realen Leben sehr klein. Und schlimmstenfalls sollen die Inspektoren halt einfach Tee trinken – was sie in England ohnedies tun. Und zwar mit Genuss.