Kaum ein Geschehen beschäftigt uns seit nun bald zwei Jahren so sehr wie das neue Coronavirus beziehungsweise die von ihm ausgelöste Covid-Pandemie. In dieser kleinen Chronik schildere ich meine persönlichen Eindrücke, Befindlichkeiten und Überlegungen.
Wer den Text bis zum Schluss liest, wird feststellen, dass sich mein Blick auf das Geschehen und mein Ton im Lauf der Monate verändern. Von anfänglicher Skepsis, bisweilen etwas polemisch zum Ausdruck gebracht, geht es weiter über Momente des Innehaltens bis hin zu einer revidierten Einschätzung.
Aber: Es ist keine Geschichte eines radikalen Wandels. Ich bin heute zwar nicht mehr so skeptisch wie zu Beginn, verstehe unterdessen auch die Position der Warner und Mahner, habe mich aber trotzdem nicht zu einem dogmatischen Übertreiber gewandelt. Die Wahrheit liegt, wie so oft, auch bei diesem Stück Zeitgeschichte irgendwo in der Mitte.
Die Erinnerung ist noch ganz frisch und wird es wohl auch immer bleiben: Anfang 2020 ging die Kunde von einem neuen Virus um die Welt. Von einem Coronavirus, das in China aufgetaucht sei und die Lungenkrankheit Covid-19 verursache. Die Übertragung erfolge von Mensch zu Mensch und könne tödlich enden.
Man sah am Fernsehen und in Nachrichtenmagazinen Chinesen in Schutzmaske und Schutzkleidung ganze Strassenzüge desinfizieren, und man las, dass die Stadt Wuhan unter Quarantäne stehe.
Au weia – wieder einmal ein Lungenvirus aus Asien, dachte man besorgt. Wenn es nur hübsch zu Hause bleibt. Andere lächelten bloss: Alles übertrieben, reine Hysterie. Die Asiaten, die laufen ja schon bei jeder gewöhnlichen Schnupfenwelle in Hygienemasken rum.
Und dann ging’s los
Wenig später, nach der üblen Mär, ging auch das üble Virus selbst um die Welt. Und setzte sich überall fest. Auch bei uns in Mitteleuropa, in einer Region, in der schon seit Längerem ein ziemlich ungesunder Gesundheitskult betrieben wird. Jetzt ging die Hysterie auch bei uns los, denn nun ging es um die eigene Gesundheit. Wir hatten den Chinesen in diesem Punkt plötzlich nichts mehr vorzuwerfen.
Was dabei so alles abging, hat historisches Ausmass. Regierungen verordneten mittelharte bis knallharte Lockdowns, das öffentliche, soziale, kulturelle und wirtschaftliche Leben wurde drastisch heruntergefahren. Spitäler verschoben Wahleingriffe, um gegen den Ansturm von Corona-Patienten gewappnet zu sein. Alte sahen sich in ihren Heimen schlimmer isoliert als im Gefängnis, Läden wurden geschlossen, Stadien geleert, der öffentliche Verkehr ausgedünnt, mutmasslich Angesteckte getestet und in Quarantäne gesteckt.
Wie im Krieg
Die wehrhafte Schweiz bot Sanitätstruppen auf; es war der grösste Aktivdienst seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Medien überboten und überbieten sich mit luftschnappender Berichterstattung, mit Zahlen zu den Angesteckten und Verstorbenen, mit Experteninterviews zuhauf, mit moralisch aufgeladenen Kommentaren, mit Tabellen, Statistiken und Spitalreportagen, mit News-Tickern und Live-Übertragungen zu den wöchentlichen Pressekonferenzen der Gesundheitsbehörden.
Was geschah, nachdem man das virologische Bollwerk errichtet hatte? Die Spitäler mussten Kurzarbeit einführen, weil sie kaum Corona-Patienten hatten und andere nicht behandeln durften. Viele Leute steckten sich mit dem neuen Virus an und merkten es kaum. Im Sommer ging der Lockdown zu Ende, und die Armee entlassen, ohne zum Einsatz gekommen zu sein.
Wer es wagte, öffentlich gegen den Alarmismus anzutreten, auf den meist recht harmlosen Verlauf der Krankheit hinzuweisen, differenziert zu argumentieren und dosierte Massnahmen zu fordern, bekam reflexartig einen schmerzhaften Stempel aufgedrückt: Corona-Leugner! Und, noch despektierlicher: Covidiot!
Kein Ende in Sicht
Jetzt, da ich diesen Text verfasse, schreiben wir Anfang Januar 2021. Das Virus zirkuliert weiterhin, der Tumult dauert an, und Ende ist keines in Sicht. Wer bei alledem immer noch kühlen Kopf bewahrt, staunt ob der gesellschaftlichen Überhitzung und publizistischen Hyperaktivität – und fragt sich, wie es wohl kommen würde, wenn die Gesellschaft mal mit einer echten Katastrophe konfrontiert wäre. Mit Krieg, einem verheerenden Erdbeben oder einer antibiotikaresistenten Variante des Pesterregers zum Beispiel.
Diese Frage stellt sich durchaus zu Recht – spätestens seit man weiss, dass dieses neue Coronavirus beziehungsweise die Infektionskrankheit Covid-19 im Ganzen betrachtet keinesfalls an Pest, Ebola oder Gelbfieber herankommt. Diese drei Krankheiten sind echte Killer. Wer sich ansteckt, muss zu 10 bis 90 Prozent mit dem Tod rechnen.
Auch die Spanische Grippe 1918/19 war heftig. Manche Ärzte damals verglichen sie mit der Pest. Wer sich hingegen mit Covid-19 ansteckt, darf hoffen, mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,6 Prozent wieder zu gesunden.
Zum Vergleich
Die Letalität – also ein tödlicher Ausgang nach Ansteckung – von Covid-19 liegt je nach Altersgruppe und persönlichem Risikoprofil zwischen 0 und 20 Prozent. Im Schnitt liegt sie jedoch bei ungefähr 0,4 Prozent. Die Letalität der Asiatischen Grippe, die 1957/58 um die Welt ging, wird ebenfalls auf rund 0,4 Prozent geschätzt.
Während der Asiatischen Grippe und zehn Jahre später während der ebenfalls pandemischen Hongkong-Grippe ging das Leben mehr oder weniger weiter, als wäre nichts geschehen. Auch damals mussten manche Patienten ins Spital, auch damals verliefen manche Fälle tödlich. Aber niemand sprach gross davon, und Hygienemasken zu tragen, wäre niemandem auch nur im Traum in den Sinn gekommen. Diese Ausbrüche nahm man als das, was sie waren: als Krankheit mit überschaubaren Folgen und einigermassen kalkulierbarem Risiko; als Erkrankung, die nur im allerschlimmsten Fall tödlich endete.
Erinnerung an damals
Jüngst fragte ich eine alte Frau vom Land, ob sie sich noch an die Asiatische Grippe erinnere. «Ja, die was heftig», sagte sie. «Aber man hat kaum davon gesprochen. Wir verhielten uns ein bisschen vorsichtiger als bei einer normalen Grippe, das ist alles. Wir gingen da einfach durch.»
Welcher Schweregrad einer Pandemie als schlimm gilt und welcher nicht, ist eine Frage der gesellschaftlichen Befindlichkeit, nicht eine Frage der Statistik. Heute, mit Covid-19, ist von mentaler Ruhe jedenfalls nichts zu spüren.
Maskerade
Am sichtbarsten wird die allgemeine Aufregung bei der kulturfremden Gesichtsverhüllung, die zu vollziehen man seit Herbst 2020 ausserhalb der eigenen vier Wände genötigt ist. Im öffentlichen Verkehr herrschte die Maskenpflicht schon im Sommer. Rasch avancierte die Hygienemaske zum Symbol der Pandemie, auch zum Accessoire der politisch korrekten Gesinnung.
Der tatsächliche Nutzen der Maske für die breite Öffentlichkeit ist allerdings umstritten. Der Frühlings-Lockdown funktionierte auch ohne Maske, während die Ansteckungszahlen jetzt, im beginnenden neuen Jahr, trotz des amtlich verordneten Maskenballs wieder ansteigen.
Und jetzt auch noch das: Politiker aus einem bestimmten Spektrum wollen neuerdings die Schuldfrage diskutiert haben. Sie wollen wissen, wer für all die Toten und all das Leid verantwortlich sei. Ob man nicht die Bundesräte, allen voran den bürgerlichen Finanzminister Ueli Maurer, für ihr zögerliches, wirtschaftsfreundliches Taktieren vor den Richter zerren müsste.
Man hört den Ton gut heraus: «Tote, Leid, Schuld.» Dies ist das Vokabular, das sonst in der Berichterstattung über Kriegsverbrechen benutzt wird. Dass man jetzt unsere Krisenmanager, die unter Abwägung aller Dringlichkeiten, Notwendigkeiten und Bedürfnisse versuchen, einen einigermassen verträglichen Mittelweg zu finden und aus guten Gründen vor einem zweiten Lockdown zurückschrecken, fast wie Kriegsverbrecher behandeln will, befremdet sehr.
Die Front der Schreiber
Auch Journalisten und andere Intellektuelle blasen zum Angriff und schreiben in ihren Kommentaren von «Zynismus», wenn Exekutivpolitiker beim Schnüren ihrer Massnahmenpakete nebst gesundheitlichen auch wirtschaftliche und andere Aspekte einbeziehen. Ihnen sei die Gesundheit offenbar nichts wert. Die Wirtschaftslobby habe sich einmal mehr durchgesetzt. Die Solidarität bleibe auf der Strecke.
Es ist bemerkenswert, das Unverständnis in gewissen Kreisen für den Zusammenhang von Wirtschaft, Geld, Wohlstand, Wohlfahrt und Gesundheit. Dabei wäre dieser Zusammenhang doch so einfach zu verstehen: Staaten mit einer funktionierenden Wirtschaft können sich auch ein funktionierendes Gesundheitssystem leisten. Um das wir gerade jetzt, in dieser Situation, besonders froh sind.
Die Not der Betriebe
Auch schon mal darüber nachgedacht, was es bedeutet, wenn ein Lockdown Hunderte von kleinen und mittleren Betrieben in den Ruin und deren Mitarbeitende in die wirtschaftliche und soziale Not treibt? In Krankheit, Depression und schlimmstenfalls in den Suizid?
Mit diesen Folgen werden wir uns in zwei Jahren befassen, wenn (vielleicht) niemand mehr von Ansteckung und Masken spricht. Und wieder wird man Schuldige an den Pranger stellen. Wer wohl diesmal schuld sein wird?
Der Fall Schweden
Übrigens: Man zeigte bei Ausbruch der Pandemie empört auf Schweden, weil hier die Aufregung nicht allzu gross war, die Regierung eher milde Massnahmen ergriff und vor allem auf die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger setzte.
Die Todeszahlen waren in der Folge etwas höher als in anderen europäischen Ländern, weil man es in Schweden leider versäumt hatte, ein besonderes Augenmerk auf die Altersheime zu richten. Trotzdem – und trotz der aktuellen zweiten Welle – steht das Land immer noch deutlich besser da als manche Länder, die sich für einschneidende Massnahmen entschieden haben, sprich Belgien, Spanien, Italien, Grossbritannien, Frankreich und Tschechien.
Dänemark und Finnland dagegen hatten im europaweiten Vergleich die Pandemie zuerst sehr gut im Griff, jetzt plötzlich haben auch sie mit einer zweiten Welle zu kämpfen. Könnte es sein, dass das Virus gerade ein bisschen macht, was es will?
Es scheint so. Eine Pandemie ist immer noch ein natürliches Geschehen, das sich nicht zu hundert Prozent dem Willen des Menschen unterwirft. Mit dieser Einsicht tun wir uns jedoch schwer – sehr schwer.
Ich leugne nicht
An dieser Stelle möchte ich in aller Deutlichkeit festhalten: Ich bin kein Covid-Leugner. Nicht einmal ein Skeptiker. Die Krankheit zirkuliert. Und sie kann zu schweren Verläufen führen. Auch zu Todesfällen.
In den Spitälern – die generell nicht auf solche Pandemien ausgelegt sind – werden Covid-Kranke gepflegt, mit grossem Einsatz und vielen Überstunden. Ich bin nicht abgestumpft gegen das Sterben und die Trauer der Hinterbliebenen, und ich lobe den Einsatz der Ärzte und Pflegefachleute.
Und ja, verdammt noch mal – ich weiss, dass es auch mich treffen könnte. Ich bin nicht mehr zwanzig. Auch ich bin der Meinung, dass man vor dieser Krankheit einigen Respekt haben sollte.
Doch ich bleibe dabei: Covid-19 ist nicht die Pest, noch nicht einmal die Spanische Grippe. Es besteht einfach kein Grund zur Massenpanik. Weltweit sterben ohne das Coronavirus jährlich rund 4,2 Millionen Menschen an einer Lungenentzündung – auch sie das Opfer eines Infektionsgeschehens. Niemanden hat das bis jetzt gross vom Leben abgehalten. Es ging einfach weiter.
Differenzierte Strategie?
Im Zusammenhang mit Covid-19 sind innert eines knappen Jahres 2,3-mal weniger Menschen gestorben als an einer herkömmlichen Lungenentzündung, sicher auch dank der einen und anderen behördlichen Massnahme. Das zeigt, dass sich die Krankheit mit etwas gutem Willen, ein bisschen Vorsicht und einer Dosis Verzicht flach halten lässt. Umso mehr, als sie ja vor allem für bestimmte Risikogruppen gefährlich ist.
Das macht sie halbwegs berechenbar und würde eigentlich sogar eine differenzierte Strategie ermöglichen, bei der die Schwachen mit adäquaten Massnahmen geschützt würden und die Resistenten von ebendiesen Massnahmen weitgehend verschont blieben. Über solche Konzepte denken unterdessen auch Immunologen, Virologen und Chefärzte nach.
Manche mögen’s radikal
Derlei stösst bei den Übervorsichtigen jedoch auf taube Ohren. Ihnen sind radikale Massnahmen lieber. Konkret bedeutet das: Wenn Millionen von Menschen an einer «gewöhnlichen» Lungenentzündung sterben, interessiert das kaum jemanden. Bei Covid-19 jedoch, genau bei dieser Krankheit, schaut man nun extrem genau hin.
Warum nur hat man sich an dieser Krankheit derart festgebissen? Das bleibt ein Rätsel, wie vieles andere an dieser Pandemie auch. Die Fixierung auf das Coronavirus hat schon längst religiöse Züge angenommen: Corona, die Göttin des Unheils.
Eine Möglichkeit, dieses merkwürdige Phänomen zu erklären, liegt in der generellen Angst vor neuartigen Bedrohungen und der überzogenen Erwartungshaltung unserer Null-Risiko-Gesellschaft.
Andere bleiben gelassen
In Afrika schüttelt man über uns Westler nur den Kopf. Meine Schwester ist Lehrerin und hat unlängst mit einem Zivildienstler im Schulhaus geplaudert. Ein Elternteil von ihm stammt aus Burkina Faso. In der Corona-Zeit telefonierte er zweimal mit seinem Onkel, der dort lebt.
Ja, sie fürchteten sich auch vor der gefährlichen Krankheit, die gerade die ganze Welt ausser Afrika heimsuche, berichtete der Onkel beim ersten Telefonat. Beim zweiten Mal sagte er: «Jetzt ist die Krankheit auch bei uns angekommen. Das ist ja eine unglaubliche Aufregung in Europa, Asien und Amerika. In Afrika leben wir schon sehr lange mit Malaria, für uns ist das, was die Welt gerade erlebt, der ganz normale Alltag: Leute werden krank, mal weniger, mal mehr, einige werden schnell gesund, andere langsamer, und wiederum andere sterben. So ist das Leben.»
Von dieser gelassenen Haltung sind wir in Europa weit entfernt. Bei uns richtet es längst nicht mehr die Lebensweisheit, sondern die Technologie.
Der Retter ist da!
Immerhin – von dieser Seite winkt nun Erlösung: Rechtzeitig zu Weihnachten 2020 erschien der Messias in Form des Impfstoffs. Frohlocket, der Retter ist da! Halleluja! Bei dieser frohen Botschaft ging ein kollektiver Freudentaumel durch die Gesellschaft wie schon lange nicht mehr in der heiligen Zeit.
Die Impfung ist der zweite Akt im Corona-Spektakel und wird dem ersten Akt an Lärm und Dramatik in nichts nachstehen. Schon jetzt, noch vor dem grossen Anrollen der ersten Impfkampagne, geht das Getöse der Machbarkeitsfanatiker los: «Her mit dem Stoff! Impfen, impfen, impfen! Gebt uns den Impfzwang! Alles durchimpfen, die Hauskatze auch, ebenso die Fische im Aquarium! Subito, denn jetzt wollen wir wieder fliegen, Sportanlässe besuchen und Party machen!»
Die Impfung wird zum säkularen Abendmahl, zum Sakrament der Fortschrittsgläubigen. Wer Bedenken hat, seinen Arm sofort hinzuhalten, weil es sich immerhin um sehr schnell entwickelte Impfstoffe handelt, die noch schneller durch die Prüfbehörden gepaukt wurden, bekommt Arges zu hören, wird als Verschwörungstheoretiker, Volksschädling und noch Schlimmeres beschimpft.
Bedenken sind legitim
In einer grossen Schweizer Tageszeitung las man in der Ausgabe von Montag, 21. Dezember 2020, bereits im Titel: «Ärzte könnten für Impfschäden haften.» Was impliziert, dass Impfschäden nicht auszuschliessen sind.
Und im Artikel selber steht dieser vielsagende Satz: «Besonders ist bei der Covid-Impfung ausserdem, dass es keine verlässlichen Informationen zu unmittelbaren und langfristigen Nebenwirkungen gibt.» Ein zweites Eingeständnis, dass mit unbekannten Nebenwirkungen zu rechnen ist.
Was bitte schön für Nebenwirkungen? Ein allergischer Schock? Lähmungen? Schwere Erkrankungen des Nervensystems? Unfruchtbarkeit? Oder lediglich ein Hautausschlag, der nach einem Tag wieder verschwindet? Das wäre durchaus interessant zu wissen. Aber zugegeben: Vermutlich ist die Wahrscheinlichkeit von sehr schlimmen oder auch späten Nebenwirkungen eher tief.
Was nervt, ist der Lärm
Es gäbe noch viel zu erzählen aus Coronien. Lassen wir es vorläufig dabei bewenden. Bleibt noch festzuhalten: Ich rebelliere nicht gegen die Massnahmen, die die Behörden verfügen, um die Pandemie einzudämmen. Ich trage sie sogar mit, je nachdem mehr oder weniger überzeugt.
Und ich bin auch nicht per se gegen die Impfung. Mass- und sinnvoll eingesetzt, wird sie sicher dafür sorgen, dass Risikogruppen aufatmen können. Unverständlich, enervierend und deprimierend ist jedoch die medial massiv verstärkte Überhitzung, die das Coronavirus in der Öffentlichkeit erzeugt.
Eine moderne und eigentlich gut organisierte Gesellschaft, die nicht den Klarblick hat, neue Herausforderungen nüchtern zu beurteilen und pragmatisch anzugehen; die allen Ernstes meint, mit aufgeregtem Geschrei Seuche und Tod vollständig ausmerzen zu können; die nicht damit umzugehen weiss, dass der Mensch nach wie vor sterblich ist; die offenbar keine anderen Vergnügungen kennt, als sich täglich an den neuesten Corona-Sensationen zu delektieren und in den elektronischen Kommentarspalten der Tageszeitungen besserwisserische Einträge zu verfassen – eine solche Gesellschaft hat jede Bodenhaftung verloren.
Die grossen Impfkampagnen sind weltweit angelaufen. Vor zwei Wochen habe ich geschrieben, dass die Covid-Impfung vielen Menschen schon fast als heiliges Sakrament gilt. Diese Formulierung war von mir als stilistische Zuspitzung gedacht. Doch heute Morgen traute ich kaum meinen Augen.
In meiner Tageszeitung las ich: «In England wird zum Teil auch in Gotteshäusern geimpft. In der Kathedrale von Sailsbury spielt der Organist dazu.» Sakraler geht es nicht mehr. Richtige Gottesdienste finden derweil in England vorläufig keine mehr statt.
Der Vorfrühling ist da, und das von mir vorausgesagte Impfdrama ist im vollen Gang. Jenen, die laut nach dem erlösenden Impfsakrament schreien, geht es zu wenig schnell. Jene, die den Goldenen Schuss nicht als die höchste aller Wonnen betrachten und sich getrauen, dies öffentlich kundzutun, werden verbal als unsolidarische Schandbuben gebrandmarkt und dann sozial gelyncht.
Und ein paar politische Sonderlinge – es werden unter internationalem Druck allerdings immer mehr – fordern allen Ernstes einen Pass, auf dass jene, die bereits geimpft sind, Privilegien geniessen dürfen: Konzerte, Restaurantbesuch, Sportarena, Auslandreise, während der ungeimpfte Rest draussen bleibt.
Das Unausweichliche
Das Augenmass und die Vernunft haben sich verkrochen. Der gesellschaftsspaltende Trubel entfaltet seine Wirkung. Zur Erinnerung: Wie lief es vordem, in normalen Zeiten, schon wieder bei der Grippe, die ja auch nicht ganz ungefährlich ist? Da diese Krankheit bekanntlich vor allem bei älteren Menschen tödlich verlaufen kann, liessen sich folgerichtig vor allem ältere Menschen impfen.
Der Rest – unter ihnen auch viele Betagte – blieb ungeimpft, und alle fanden es völlig in Ordnung. Manche erkrankten – andere nicht. Manche mussten ins Spital – andere nicht. Viele überstanden die Krankheit. Nicht wenige von ihnen brauchten lange, bis sie ganz auskuriert waren. Bei manchen liess sich nicht vermeiden, dass sie starben. In der breiten Öffentlichkeit fand dies kaum Nachhall, denn man kannte bis vor anderthalb Jahren eine alte Lebenswahrheit: Menschen sterben. Je älter sie sind, desto grösser wird diese Wahrscheinlichkeit.
Es bleibt ein Rätsel
Warum wird diese gelassene und geerdete Haltung nun plötzlich bei der Covid-Krankheit, die ein ähnliches Risikomuster aufweist wie die Influenza und von den allermeisten Erkrankten gut oder doch einigermassen gut überstanden wird, plötzlich aufs Schärfste verdammt? Ich stehe immer noch vor einem grossen Rätsel.
«Jedes Menschenleben zählt!», wird einem zornig entgegengeschleudert. Ja, jedes Menschenleben hat seinen ganz besonderen und einzigartigen Wert, daran gibt es nichts zu rütteln. Wird diese Tatsache aber zu einem radikalen, ideologisch aufgeladenen und weltfremden Kampfruf umgedeutet, wird es problematisch. Denn dieser wohl gut gemeinte Slogan hat keinen Sinn für das Leben in seiner ganzen Breite und Fülle. Er fordert stattdessen eindimensional die machbarkeitsgläubige, biologistische, geradezu totalitäre Flachhaltung, Gängelung und «Durchimpfung» der gesamten Menschheit.
Unsichere Sicherheit
Und was, wenn jemand nicht aus Trotz die Impfung verweigert, sondern ernsthafte Bedenken hat? Immerhin haben wir es hier mit einer völlig neuen Generation von Impfstoffen zu tun. Sind wir hundertprozentig sicher, dass sich in ein, zwei Jahren nicht doch plötzlich Folgen der Impfung zeigen, an die bisher niemand gedacht hat?
Solche Befürchtungen werden auf Social Media von den aggressiven Impfpropagandisten, die sich wie Haifische im Meinungsbecken tummeln, innerhalb weniger Sekunden zerrissen: «Ignorant! Du weisst nicht, wie eine Impfung und das Immunsystem funktionieren!»
Zugegeben: Ich weiss es nicht so genau. Aber selbst die Wissenschaft weiss über den Körper und seine höchst komplexen Vorgänge und Reaktionen noch immer viel zu wenig, um sich ihrer Sache so sicher sein zu können, wie sie es im Moment behauptet.
Die Geschichte weiss, wie eng wissenschaftlicher Triumph und Irrtum miteinander verbunden sind. Manchmal stellt sich der Irrtum erst dann heraus, wenn es bereits zu spät ist.
Wer kann es einem besonders vorsichtigen und sensiblen Menschen also verdenken, wenn er sich – zumindest vorläufig – nicht impfen lassen will? Aber eben, im Moment gibt es für Ängstliche keine Gnade. Sie werden genötigt, wenn nicht mit dem Gesetz, dann mit der sozialen Guillotine. Die ist wirkungsvoller.
Am Samstag haben wir die Uhr auf Sommerzeit gestellt. Ostern steht vor der Tür. Corona und kein Ende. Laut den pessimistisch stimmenden täglichen Ansteckungszahlen und der noch pessimistischer stimmenden Schwarzmalerei der Experten paddeln wir gerade mitten in die dritte Pandemiewelle hinein.
In Brasilien stecken sich Menschen, die die Krankheit bereits einmal überstanden haben, ein zweites und sogar drittes Mal an. Die dortige Mutation des Virus soll sehr ansteckend und aggressiv sein. Viele Kranke sterben, die Krankenhäuser sind überfüllt.
Muss ich mir nun Vorwürfe machen, dass ich diese Krankheit bisher nicht als die ultimative Katastrophe, als die Mutter aller Seuchen betrachtet habe? Ist sie es letzten Endes vielleicht doch? Und lässt sich das – wirklich tragische – Geschehen in Brasilien eins zu eins auf Europa übertragen?
Wir werden sehen. Wenn das bisher einigermassen handhabbare Virus nun wirklich weltweit zu einem apokalyptischen Killer mutiert, wird es auch für mich ein böses Erwachen geben.
Mit den Augen der Profis
Ich verstehe gut, dass Notfallmediziner und Lungenärzte schon seit Langem vor der Gefährlichkeit der Krankheit warnen. Sie sehen tagtäglich Fälle, das ist ihr Beruf. Wer nichts als schwer Kranke und Patienten mit Langzeitfolgen sieht, kommt zwangsläufig zum Schluss, dass die ganze Welt krank ist.
Statistiker dagegen zeichnen, zumindest für Europa, nach wie vor ein anderes Bild: das Bild einer ernsten, aber keinesfalls krass gefährlichen Krankheit. Nichts in der Liga von Ebola, Pest und Cholera.
Mit den Augen eines Laien
Und ich? Ich habe jetzt, wie wir alle, ein ganzes Jahr Corona hinter mir. Ich habe ein Jahr lang mit einer Seuche gelebt, die, wie uns die Medien täglich einhämmern, die schlimmste Krankheit seit der Pest im Mittelalter ist.
Ich habe einen erweiterten Bekanntenkreis von vielleicht 200 Menschen. Gerade mal vier von ihnen hatten im vergangenen Jahr Krankheitssymptome. Drei von ihnen gaben an, es sei nicht schlimmer als eine Erkältung gewesen, jemand sagte, er habe ein paar Wochen unter Geschmacksverlust gelitten, weiter war da nichts.
Somit erlebe ich die Krankheit in meinem Umfeld eher als Phantom-Epidemie, und gleichzeitig lese ich täglich mit besorgniserregenden Zahlen untermauerte Schreckensmeldungen.
Was soll ich nun glauben? Ist Covid-19 die ultimative Seuche oder bloss ein Mittelding, das sich dermassen gut in Schach halten lässt, dass man davon innerhalb eines ganzen Jahres kaum etwas merkt?
Andere Zeiten, andere Sensibilität
Ich habe es bereits einmal geschrieben: Was wir als schlimm empfinden, bestimmen nicht einzelne Virologen, Ethiker oder Politiker, es wird gesellschaftlich ausgehandelt. Im Mittelalter hätte man angesichts der aktuellen Lage nur mit den Schultern gezuckt.
Schlimm war es damals erst, wenn ein Viertel der Bevölkerung dahingerafft wurde. Heute ist es schlimm, wenn – wie derzeit bei Corona – ungefähr fünf von zehntausend Menschen an einer Pandemie sterben.
Unsere bedeutend höhere Sensibilität ist ein Zeichen unseres medizinischen Fortschritts und unserer gestiegenen Erwartungshaltung, vielleicht auch eines allgemeinen Humanitätsgewinns. Daran ist natürlich nichts auszusetzen.
Aber: Sind wir noch in der Lage, mit einer Todesgefahr im Bereich von fünf Zehntausendsteln angemessen umzugehen? Wollen wir unser Leben radikal von der Angst bestimmen lassen? Oder einigermassen pragmatisch und gelassen bleiben, trotz allem? Das ist hier die Frage – die kollektiv zu beantworten wir im Moment offenkundig ausserstande sind.
In Riesenschritten nähern wir uns dem Mai. Das Covid-Karussell dreht sich munter weiter. Was ich noch vor einem Jahr, kurz nach Ausbruch der Pandemie, für unmöglich gehalten hätte, wird Realität: Bald soll es Sportveranstaltungen, Konzerte, Lesungen, Kino und Theater nur für Geimpfte und Getestete geben.
Ein elektronisches «Zertifikat» soll dafür bürgen, dass du auch wirklich porentief rein, also steril bist und im Theatersaal ganz, ganz, ganz sicher keinen ansteckst. Wer solche Aussichten entsetzlich findet und dies öffentlich sagt, wird von der Mainstream-Community an die Wand gestellt und verbal erschossen. So weit sind wir heute. Das haben wir gut hingekriegt, bravo. Und das nur innert eines Jahres.
Obwohl – will ich wirklich noch ins Theater gehen? In den nächsten paar Jahren sicher nicht. Politisch korrektes, rechtschaffen progressives, vorschriftsmässig moralingetränktes Theater wird selbstverständlich nur auf «Corona-Skeptikern», «Covidioten», «Impfverweigerern» und «Aluhüten» herumhacken. Darauf kann ich gut verzichten.
Wenn Tausende auf die Strasse gehen, während Monaten immer und immer wieder, dann stimmt etwas nicht. Dann sollten bei den Regierenden die selbstkritischen Alarmglocken schrillen. Vor allem, wenn nicht nur Profi-Chaoten und Möchtegern-Anarchisten ihren Unmut bekunden, sondern viele Leute mitten aus der Gesellschaft. So wie jetzt.
Es handelt sich nicht ausschliesslich um ein «verbohrtes Grüppchen von Spinnern», wie manche Zeitgenossen behaupten. Es handelt sich um Tausende zumeist honorabler Bürgerinnen und Bürger, und sie haben Tausende von stillen Sympathisanten.
Sie sind der Ansicht, dass die Regierung mit dem breiten Einsatz des Gesundheitspasses zu sehr in das öffentliche Leben eingreift. Und sie wollen sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen. Manche erachten Impfen generell als widernatürlich. Manchen ist der organisatorische Aufwand zu hoch. Und manche sehen nicht ein, warum sie sich gegen eine Krankheit immunisieren sollten, die in den Medien zwar als neuzeitliche Pest dargestellt wird, im normalen Alltag aber sehr oft deutlich milder verläuft.
Doch die allermeisten von ihnen haben einfach mehr Angst vor dieser neuartigen Impfung als vor der Krankheit selber. Sie möchten abwarten, bis zu den genbasierten Impfstoffen Langzeitstudien vorliegen.
Der Druck ist gross
Nun – theoretisch ist es ihnen erlaubt zu warten, es herrscht offiziell kein Impfzwang. Doch die Politiker, die Arbeitgeber und die impfwillige Mehrheitsgesellschaft bauen mit Kampfrhetorik, Ermahnungen, Schikanen, Nötigungen und Repressalien einen enormen Druck auf.
Der grösste Druck kommt aus der moralischen, quasireligiös eingefärbten Ecke: Wer sich nicht impft, ist ein vermaledeiter Ketzer, der das Sakrament aus der Ampulle verschmäht und nicht nur das eigene, sondern auch noch gleich das Körperheil der anderen verspielt.
Überzeugen ist eine Kunst
Auch ich bin übrigens der Meinung, dass sich bei uns in der Schweiz durchaus noch ein paar Leute mehr impfen lassen dürften, um so die viel beschworene «Herdenimmunität» zu erreichen und diese Pandemie-Geschichte endlich in den Griff zu bekommen. Zumal wir heute, nach einem Jahr Impfung, sehen, dass die meisten Menschen die Injektion gut vertragen und allfällige Nebenwirkungen in der Regel moderat sind.
Aber mit Druck und Überheblichkeit lässt sich die grosse skeptische Minderheit sicher nicht überzeugen. Und schon gar nicht von einer arrogant auftretenden Intelligenzija, die doch sonst jeder noch so kleinen Minderheit grösstes Verständnis entgegenbringt.
Menschen, die Angst oder Bedenken haben, brauchen jetzt keine platte Impfpropaganda. Keine gesellschaftliche Ächtung. Keine besserwisserischen Zeitgenossen, die Zögernde stereotyp als Schwurbler, Dummköpfe und Covid-Leugner abqualifizieren. Keine ehemaligen Impfskeptiker, die jetzt, glücklich geimpft und bekehrt, als radikale Impfmissionare unterwegs sind. Keine Zeitungskommentatoren und Fernsehmoderatoren, die sich wie empörte Grossinquisitoren aufführen.
Nein – was Unentschlossene und Nichtwillige jetzt brauchen, ist Verständnis, Dialog und ehrliche Information. Und die Gewissheit, dass der persönliche Entscheid respektiert wird, egal, ob er pro oder contra Impfung ausfällt.
Nur vorgeschoben
Vielen, die demonstrieren, geht es aber nur vordergründig um das grenzwertige Covid-Regime und den damit zusammenhängenden indirekten Impfzwang. In Wahrheit geht um etwas viel Grösseres. Sie sorgen sich um die Gesellschaft, die seit Jahren – schon lange vor Covid – unaufhaltsam aus den Fugen gerät.
Die aktuellen Proteste sind das Ventil jener, die mit der feinen Intuition des Volkes spüren, dass etwas nicht mehr stimmt. Diese Leute finden es nicht gut, dass nur noch Intellekt, Wissenschaftlichkeit, Rationalität und Urbanität den Ton angeben. Sie lehnen sich dagegen auf, dass einfache Menschen in unserer naturfernen, technokratischen, globalisierten, schnellen, anspruchsvollen und gemütsarmen Welt keinen Platz mehr haben. Sie sind besorgt darüber, dass der Zeitgeist allzu dreist an Traditionen, Überlieferungen, Konventionen, uralten archetypischen Bildern und Vorstellungen rüttelt. Sie ahnen, dass dabei die kollektive Seele in ihren tiefsten Schichten verletzt und die Welt auf den Kopf gestellt wird.
Unheimliche neue Welt
Den Leuten auf der Strasse ist die Welt unheimlich geworden. Sie sehen, dass etwas kaputt geht. Darin liegt der wahre Grund der Proteste. Die Covid-Politik des Bundesrates ist bloss der Auslöser, der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Der Untergang des Abendlandes, von Oswald Spengler im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts scharfsinnig vorausgesagt, ist längst im Gang. Wir können ihn nicht mehr aufhalten. Und die Leute auf der Strasse werden in nächster Zeit nicht weniger, sondern mehr. Darauf würde ich wetten.
Die Zeit vergeht und vergeht. Es ist, nach einem einigermassen seuchenfreien, dafür aber verregneten Sommer, Herbst geworden. Das Covid-Gesetz, das dem Bundesrat beim Pandemie-Management beträchtliche Vollmachten einräumt, ist bei der Volksabstimmung vom 28. November erwartungsgemäss mit deutlichem Mehr angenommen worden. Eine neue Virus-Variante – unterdessen ist man von Delta bei Omikron angelangt – versetzt die Welt einmal mehr in Aufregung.
Die Schweizer Gesellschaft ist gespalten in die guten Geimpften (zwei Drittel) und die bösen Ungeimpften (ein Drittel). Die Guten geben sich moralisch überlegen und autoritär, die Bösen aufgewühlt und zornig. Die Guten unterstellen den Bösen Dummheit, die Bösen werfen den Guten vor, einer bundesrätlichen Diktatur Vorschub zu leisten.
Wie du mir, so ich dir
Es gibt bloss noch Schwarz und Weiss. Jene, die die bundesrätlichen Massnahmen unterstützen und die Impfung befürworten, werden von einer zornigen Minderheit als «Systemlinge» oder «Schafe» verunglimpft. Und jene, die auch nur ein Detail der offiziellen Covid-Darstellung leise anzweifeln, werden von der Mehrheit als «Schwurbler» (blödes Wort), Verschwörungstheoretiker oder sogar Nazi tituliert.
Nun gut. Ich arbeite mich jetzt seit einem Jahr schreibend mit dieser Seuche ab, habe mich dabei denkend bewegt und meine ursprüngliche Haltung in machen Teilen revidiert.
So habe ich mich, nach gründlicher Recherche über die Funktionsweise der Impfung und ebenso gründlicher Abwägung des Risikos, impfen lassen. Es erleichtert einiges, man fühlt sich einfach sicherer und freier. Die zweite Spritze erhielt ich Mitte Juli, ich lebe noch, hatte kaum Nebenwirkungen und denke, dass es das auch schon war. Mit Spätfolgen, die überraschend nach fünf, sechs oder sieben Monaten noch auftauchen könnten, ist eher nicht zu rechnen.
Knapp überlebt
Auch habe ich unterdessen verinnerlicht, dass die Krankheit in manchen Ländern nicht nur zirkulierte, sondern wütete, nicht zuletzt wegen schlechten Krisenmanagements, aber auch aus anderen Gründen.
Je nach Situation ist die Krankheit also nicht bloss ein bisschen schlimmer als die Influenza, sondern merklich schlimmer. Man sollte sie auf jeden Fall nicht unterschätzen. Von einem erkrankten Freund weiss ich, dass ein schwerer Verlauf die Hölle ist. Er kam knapp mit dem Leben davon.
Aber: Ich bin nach wie vor der Meinung – oder hoffe es zumindest –, dass es sich beim Virus nicht um die ultimative Seuche des Weltuntergangs handelt. Es ist nicht die Pest, obwohl sich die Mehrheitsgesellschaft darauf geeinigt hat, dass es die Pest ist. Es ist eine gesundheitliche Herausforderung und eine Krise, aber keine Katastrophe, obwohl sich die Mehrheitsgesellschaft darauf geeinigt hat, dass es eine Katastrophe ist.
Angst und Überhitzung
Diese übersteigerte Einschätzung und die daraus resultierende Überhitzung ist die Folge zweier Faktoren. Faktor 1 ist eine Gesellschaft, die ihre Resilienz verloren hat und vorbehaltlos Schutz sucht unter den Fittichen des behütenden Staates und einer mit fast priesterlichen Weihen ausgestatteten Wissenschaft. Faktor 2 ist eine Gesellschaft, die unter dem Einfluss der elektronischen Medien und ihrer Aufheizungsmechanismen schon vorher zu einer Aufregungsgesellschaft geworden ist.
Über die medial befeuerte Aufregungsgesellschaft hat der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen in seinem Buch «Die grosse Gereiztheit» bereits zwei Jahre vor dem Auftreten des Coronavirus eindrücklich geschrieben. Er konnte damals noch nicht wissen, welche prophetische Kraft in seinem Buch steckt.
Schweigen ist die erste Bürgerpflicht
Corona beziehungsweise Covid hat sich zu einem dogmatischen Gebäude verfestigt, ähnlich einer Religion. Und wehe, man stellt einen dieser Lehrsätze in Frage. Das ist nicht einmal Wissenschaftlern erlaubt – nur jenen, denen von offiziöser Seite die «Covid-Lehrbefugnis» erteilt wurde. Wer das sein darf, entscheiden die Medien und die obersten Landesbehörden in einem eher willkürlichen, auf jeden Fall nicht wirklich gesteuerten Prozess.
Zweifellos handelt es sich dabei um ausgewiesene Fachleute. Aber andere ausgewiesene Fachleute, die ihnen im einen und anderen Punkt widersprechen oder auch nur eine der offiziell abgesegneten Aussagen ein bisschen relativieren, werden totgeschwiegen, bekämpft oder als alte Trottel, die eh keine Ahnung mehr haben, hingestellt. So etwas wie ein öffentlicher wissenschaftlicher Diskurs auf Augenhöhe findet kaum statt. Das stimmt nachdenklich.
Welche Erkenntnisse habe ich im Detail gewonnen, wie beurteile ich die Corona-Krise heute? Werfen wir hierzu einen Blick auf die mehrheitsgestützte, gewissermassen offizielle Darstellung des Geschehens rund um Covid-19. Diese Darstellung wird von den Kritikern gerne als «Narrativ» bezeichnet. Ich verzichte auf diesen Ausdruck, weil er mir unterdessen ein bisschen abgenutzt vorkommt und auch den Aspekt eines Kampfbegriffs hat.
Mein Kommentar: Covid-19 kann in gewissen Fällen sehr heftig verlaufen und auch zum Tod führen. Und allenfalls das Gesundheitssystem überlasten. Aber: Kinder, junge Menschen und Leute, die keine Vorerkrankungen haben, überstehen die Krankheit statistisch gesehen in den meisten Fällen gut. Die Menschheit hat bereits deutlich schlimmere Seuchen erlebt.
Bei alledem will ich auch nicht verharmlosen: Vorerkrankte, Betagte oder Menschen mit besonderer genetischer Disposition sind von Covid-19 stark betroffen, und selbstverständlich gilt es, sie zu schützen. Zuweilen trifft es auch Menschen schwer, die in keiner Weise vorbelastet sind.
Auch die Tatsachen, dass die Krankheit hoch ansteckend ist – ansteckender als die Grippe –, weltweit zirkuliert und auf der Welt sehr viele Menschen leben, macht Covid zu einer massiven Belastung. Behörden, die in einer solchen Situation keine Massnahmen ergreifen, sind unfähig. Der Bundesrat hat seine Verantwortung bisher wahrgenommen, und das meist mit erfreulichem Augenmass.
Mein Kommentar: Diese Langzeitfolgen sind keine blosse Mär, sie kommen vor. Wie oft, wie stark und wie lange, weiss man nicht. Manche Experten stufen diese Langzeitfolgen als häufig und gravierend ein. Andere geben Entwarnung und vergleichen sie mit den Nachwirkungen anderer Infektionskrankheiten, die zuweilen auch monatelang in unterschiedlicher Ausprägung andauern, um sich irgendwann vollständig zu verflüchtigen.
Weil verlässliche Informationen noch fehlen, ist es wohl besser, beim Thema «Long Covid» vorsichtig zu bleiben. Es ist weder tunlich, es voreilig kleinzureden, noch sinnvoll, es unbelegt als Drohkulisse zu verwenden.
Mein Kommentar: Lange war ich der Ansicht, dass die Hygienemaske bloss ein alarmistisches und behördlich verordnetes Symbol der Angst ist. Unterdessen sehe ich das anders. Die Maske scheint ein einigermassen wirksamer, wenn auch zeitlich begrenzter Schutz bei Menschenansammlungen zu sein. In Japan machte man damit bereits während der Spanischen Grippe 1918 bis 1920 gute Erfahrungen.
Mein Kommentar: Die Erfahrung zeigt, dass die Einschränkung der Mobilität und das Eindämmen von Menschenansammlungen in geschlossenen Räumen sehr effiziente Massnahmen sind, um Ansteckungen zu vermeiden. Vor allem Homeoffice hat sich in dieser Hinsicht bewährt.
Sind die Züge und Büros dünner besetzt, zirkuliert das Virus weniger stark, wovon letztlich auch jene profitieren, die nicht im Heimbüro arbeiten können. Bis jetzt hat der Bundesrat dieses Mittel sinnvoll eingesetzt und auch nicht überstrapaziert.
Hinzu kommt ein Effekt, den viele als wohltuend und seelisch heilsam empfinden: kein Pendlerstress, weniger Verpflichtungen, weniger Hektik, weniger Betriebsamkeit nach Feierabend, mehr Zeit für sich und die Familie. Viele entdecken in diesen Zeiten gerade die Vorzüge der Musse und der inneren Einkehr wieder.
Mein Kommentar: Das scheint so nicht zu stimmen. Auf das blosse Infektionsgeschehen hat die Impfung möglicherweise weniger Einfluss als gedacht. Aktuelle Zahlen (Corona-in-Zahlen.de, Stand 16.11.21) zeigen: Von der gegenwärtigen fünften Welle besonders stark betroffen sind seltsamerweise auch Länder mit hoher Impfquote wie Island, Dänemark, Irland, Belgien und die Niederlande, während das Geschehen in Ländern mit eher tiefer Impfquote wie USA, Frankreich und Schweden zum Teil weniger dynamisch ist.
Umgekehrt gibt es auch Länder mit hoher Impfquote und tiefer Infektionsrate, vorab Portugal und Spanien. Das ist angesichts des inkohärenten Gesamtbildes jedoch kein Beweis dafür, dass zwischen Impfung und Infektionsgeschehen ein klarer Zusammenhang besteht. Noch stehen wir am Anfang der fünften Welle, vielleicht verschiebt sich das Bild demnächst klar zugunsten der «geimpften» Staaten.
So oder so hat sich gezeigt, dass die Wirkung der Impfung schneller nachlässt, als viele bei Beginn der Impfkampagne dachten, und dass sie keine sterile Immunität erzeugt.
Das heisst: Geimpfte geben das Virus in zwar geringerem, dennoch aber relevantem Ausmass ebenfalls weiter. Zudem müssen sie damit rechnen, dass sich der Schutz vor einem heftigen Krankheitsverlauf nach sechs, sieben Monaten deutlich abschwächt.
Deshalb empfehlen die Behörden eine Auffrischungsimpfung, was wohl nicht falsch ist. Allerdings diskutieren Fachleute aufgrund einer niederländischen Studie, ob wiederholtes Boostern das Immunsystem mit der Zeit eher schwächen denn stärken könnte. Die Zeit wird es weisen.
Klar positiv ist, dass Geimpfte, die trotz der Impfung krank werden, im Schnitt einen weniger schweren Verlauf haben als Ungeimpfte. Dies nützt unmittelbar den Erkrankten und entlastet überdies die Spitäler und das Pflegepersonal. Deshalb macht Impfen Sinn.
Mein Kommentar: Der Wunsch, dass sich niemand an Covid-19 ansteckt, ist verständlich, und noch verständlicher ist der Wunsch, dass niemand daran stirbt.
Zu welchem Preis aber soll dies geschehen? Können ganze Gesellschaften immer wieder drastisch das soziale und wirtschaftliche Leben grounden, um Leben zu retten? Wie viele Leben sollen zu welchem Preis gerettet werden?
Diese heikle und eigentlich unzulässige, zugleich aber unausweichliche Frage lässt sich alles andere als einfach beantworten. In einem Roman des japanischen Autors Ryu Murakami habe ich neulich den weisen Ausspruch gelesen: «Wer zu etwas Ja sagt, sagt damit immer auch Nein zu etwas anderem.»
Bezogen auf die Pandemie bedeutet dies: Wer Ja sagt zu radikalen Massnahmen, sagt Nein zu einem gesamtgesellschaftlichen Leben, das diesen Namen noch verdient. Wer Ja sagt zu sozialem Leben trotz Pandemie, sagt Nein zu einer grösstmöglichen Verhinderung von Todesfällen.
Die Natur nimmt uns aber ein Stück weit die Entscheidung ab. Ansteckende Krankheiten haben die Menschheit schon immer begleitet. Es ist nie gelungen, sie in ihrer Gesamtheit auszumerzen. Sehr wenige von ihnen sind besiegt worden, andere immerhin eingedämmt. Der vollständige Sieg ist bis heute ausgeblieben.
Zu denken, wir könnten es diesmal schaffen, ist vermessen. Wir haben uns in einen Machbarkeitswahn hineingesteigert, unternehmen alles, um die Ansteckungswellen zu dämpfen und zu glätten, fahren mit dem sozialen Leben herunter, fahren dafür ein wissenschaftliches Arsenal hoch, von dem arme Länder nicht einmal zu träumen wagen, testen, sequenzieren, desinfizieren, maskieren, spritzen, isolieren, zertifizieren, kontrollieren...
Aber vielleicht lässt sich die Natur weder beherrschen noch austricksen, wie wir es gerne hätten. Vielleicht machen wir es richtig, vielleicht unternehmen wir das Falsche. Und vielleicht würde es schon viel helfen, wenn wir der Herausforderung mit etwas mehr Gelassenheit begegnen würden.
Mit Gelassenheit meine ich nicht Nachlässigkeit. Sondern bloss, dass wir das permanente Hintergrundgeräusch der allgemeinen Aufregung ein bisschen dämpfen könnten, ohne dabei die grundlegenden Regeln des Pandemie-Managements zu verletzen.
Mein Kommentar: Selbstverständlich ist die Corona-Zeit die grosse Stunde der Virologen, Epidemiologen, Infektiologen, Mikrobiologen und Vakzinologen. Ihr naturwissenschaftlicher Blick auf die Gesellschaft beschränkt sich aber bloss auf biologische Vorgänge, auf das nackte Leben und Überleben. In breiten Kreisen der Gesellschaft hat sich unter dem Eindruck dieser Disziplinen innert weniger Monate schon fast so etwas wie ein biotechnisches Sektierertum herausgebildet.
Andere Wissenschaften wären in solchen Situationen eigentlich ebenfalls gefordert, werden im Moment jedoch kaum gehört oder als inkompetent beziehungsweise irrelevant aus dem Diskurs ausgeklammert: Soziologie, Politologie, Rechtslehre, Ethik, Theologie und andere mehr. Gerade sie hätten aber viel über Verhältnismässigkeit, Prioritäten, Legitimität, Risikobereitschaft, Seelenhygiene und gesamtgesellschaftliche Befindlichkeiten zu sagen.
Angesichts einer Krankheit wie Covid, die graduell nach wie vor deutlich unter Pest und Pocken liegt, darf meiner Ansicht nach nicht alles dem nackten Überleben, dem nüchternen Biologismus untergeordnet werden. Auch das lebendige Leben in seiner ganzen Dynamik, Schönheit und Kreativität sollte irgendwie weitergehen dürfen, mit allen Risiken, die damit verbunden sind.
Und: Wer nicht bedingungslos alles, was im Augenblick als Expertenmeinung gilt, als wahr und richtig anerkennt, sondern aus einem Gefühl oder einer Lebenserfahrung heraus das eine und andere anzweifelt, ist nicht zwangsläufig «dumm». Er hat einfach einen anderen Zugang zu diesem Geschehen.
«Die Wissenschaft» als quasigöttliche Institution, die von vielen gerade jetzt auf den Thron der Unfehlbarkeit gehoben wird, ist nicht unfehlbar, ebenso wenig wie der Papst.
In Sachen Übertragung (Schmierinfektion? Tröpfchen? Aerosole?) mussten die Wissenschaftler ihre Ansichten bereits mehrmals revidieren, und die wissenschaftlich propagierte Hoffnung auf Herdenimmunität durch Impfen bröckelt zunehmend.
Das ist nicht ungewöhnlich – das ist Wissenschaft, redlich, aber nicht unfehlbar. Mal sehen, was sonst noch so alles kommt an neuen Erkenntnissen, die die aktuellen Gewissheiten verdrängen.
Mein Kommentar: In dieser verabsolutierenden Form kann ich das nicht unterschreiben. Und schon gar nicht in diesem herabsetzenden Ton. Natürlich gibt es einen radikalisierten Kern von Massnahmengegnern und Covid-Leugnern. Diese Phalanx entspricht nicht gerade dem, was man als vernunftbestimmt bezeichnet.
In meinem Umfeld gibt es jedoch Personen, die die Impfung nicht aus Trotz oder auf Basis einer abstrusen Theorie, sondern aus Angst oder zumindest aufgrund ernsthafter Bedenken gegenüber den neuartigen Impfstoffen ablehnen.
Die deutsche Politikerin und Publizistin Sahra Wagenknecht schreibt zu diesem Thema in einer Kolumne auf «Fokus Online»: «Eine kürzlich veröffentliche Umfrage gibt Aufschluss darüber, warum sich Menschen aktuell gegen eine Impfung entscheiden. Die Antworten zeigen, dass die meisten Ungeimpften alles andere als notorische Impfgegner sind. Viele machen sich Sorgen wegen der Neuartigkeit der genbasierten Impfstoffe und dem verkürzten Zulassungsverfahren. Sie haben Bedenken, dass viele Nebenwirkungen und vor allem Langzeitwirkungen bisher unzureichend bekannt sind.»
An dieser Stelle möchte ich nicht verschweigen, dass ein guter Freund von mir, der zuvor impfskeptisch war, schwer an Covid erkrankte und heute, zum Glück wieder genesen, die Impfung allen empfiehlt. Er sagt: «Lasst euch zweimal piksen, das ist ein Nasenwasser gegen das, was ihr durchmacht, wenn es euch dummerweise so stark erwischt wie mich.»
Wort zum Schluss
Was gibt es sonst noch zu sagen? Eigentlich nichts. Ausser zum Schluss das, was eine Facebook-Nutzerin kürzlich in einem knappen und treffenden Leserkommentar geschrieben hat: «Die historische Aufarbeitung, wenn all das vorüber ist, wird sehr spannend.»
© Hans Herrmann
Geschrieben im Jahr 2021