Der Weg ist das Ziel

Das Wandern ist des Müllers Frust. Jedenfalls dann, wenn es ihm ergeht wie jüngst mir in den Sommerferien. Auf Schusters Rappen und behängt mit einem schweren Rucksack war ich unterwegs in einer Schweizer Region mit wilder Landschaft, die ich der Diskretion halber mal Farnerengand nenne. Mein Ziel war ein markanter, aber wenig bekannter Voralpenberg, der Schwendigupf (Name geändert).

 

Über eine sumpfige Kuhweide ging’s steil bergan. Nach ungefähr zweihundert Metern musste ich an einem Elektrozaun ein windschiefes Kuhgatter öffnen und wieder schliessen, so eines mit einem improvisierten Kettenverschluss. Die knifflige Fingerübung mit Anheben, leichtem Ziehen, dosiertem Drehen und millimetergenauem Aus- und Einführen eines Metallrings beschäftigte mich ein gutes Weilchen.

 

Danach führte der Weg noch steiler durch einen Tannenwald mit vielen Mücken, dann folgte eine von Kühen höckrig durchpflügte Feuchtweide. Um auf die Weide zu gelangen, nestelte ich wiederum am sinnreichen Schliessmechanismus eines Gatters herum. Etwas später verliess ich das Geviert auch schon wieder über eine kurze und massive Leitertreppe, über die ich kletterte wie ein Rekrut über den Bärentritt auf dem Kasernenhof.

 

Nach einigen sehr steilen Metern versperrte mir erneut ein Weidezaun den Weg. Ein Gatter war zu öffnen. Es handelte sich um einen elektrisch geladenen Stab, den man nur an der gelb isolierten Stelle berühren durfte. Ich schob den Stab behutsam zur Seite und quetschte mich elegant wie ein Torero durch die Lücke. Geschafft – und weiter im Tritt, Schritt für Schritt auf einer matschigen Alpweide zum nächsten Gatter, auf dem geschrieben stand: «Mutterkühe schauen zu ihren Jungtieren. Vorsicht!»

 

Vorsichtig, wie geboten, öffnete ich das Gatter, das mir wegen der kräftigen Stahlfeder fast aus der Hand schnellte, und betrat noch vorsichtiger das gefährliche Mutterkuhgelände. Von Mutterkühen und ihrem Nachwuchs war zum Glück nichts zu sehen, dafür hundert Meter weiter oben ein Gatter, diesmal notdürftig verschlossen mit einem rostigen Draht.

 

Ich öffnete das Gatter und schloss es pflichtbewusst wieder, indem ich die Drahtschlinge mit einiger Mühe über den Pfosten schob. Nach vollbrachter Tat kraxelte ich mühselig und beladen durch ein äusserst steiles Stück Wald und über eine löchrig schmatzende Wiese hoch zu einer Alphütte.

 

Die etwas heruntergekommene Sennerei war umgeben von einem elektrischen Zaun. Das Gatter bestand bloss aus einer waagrechten Schnur, die mit einem Hakengriff am Pfosten befestigt war. Eine praktische Vorrichtung, wenn der Senn nur nicht einen baufälligen und kuhkotbekleckerten Container haargenau vor dem Durchgang aufgestellt hätte, sodass an ein Durchkommen mit dem besten Willen nicht zu denken war.

 

Schliesslich bezwang ich den elektrischen Zaun robbend. Wieder kamen dabei Erinnerungen an die Rekrutenschule hoch. Die Kühe lagen in ihrem eigenen Dreck auf einem asphaltierten Platz vor der Hütte und schauten mir interessiert zu.

 

Schweisstreibende zehn Minuten später legte ich wieder eine Meisterleistung im Robben hin – diesmal führte durch den Zaun überhaupt kein Gatter. Dafür prangte an einem Pfosten ein Warnschild: «Vorsicht, freilaufender Bulle». So schnell als möglich durchhastete ich die extrem steile Weide, wobei ich alle zehn Sekunden fast knöcheltief in einem Kuhfladen versank. Das heisst: Es waren wohl Bullenfladen, aber das gefährliche Ungetüm hielt vermutlich irgendwo unter einer Wettertanne ein Schläfchen.

 

Nach einem gefühlten Dutzend weiterer Gatter erreichte ich völlig kaputt den Schwendigupf und stieg, ohne die Aussicht genossen zu haben, erschöpft ins Bähnchen. Zu Hause fiel ich in einen tiefen, traumvollen Schlaf. Ich träumte von Kuhgattern, Kuhtritten, Kuhschissen, explosiven Kuhfürzen, klimaschädigenden Kuhrülpsern, gefährlichen Mutterkühen und noch gefährlicheren Vaterkühen.

 

Diese Geschichte stimmt, jedenfalls so ungefähr. Der Rest ist schmückendes Beiwerk. Das Wandern ist des Dichters Lust, das Waa-aan-dern!