Eine unschöne Bescherung

Ich liebe Waldspaziergänge. Im Wald hielt ich mich schon als Junge, später als junger Mann gerne und oft auf, Jahrzehnte bevor das sogenannte «Waldbaden» als japanische Therapie zu uns nach Europa kam.

 

Jüngst erschauerte ich auf einer meiner Lieblingsstrecken im Wald jedoch, statt in ein wonniges Seelenbad einzutauchen. Man hatte mir meinen Pfad, mein schmales, fast geheimes Weglein, über Nacht mit Bagger, Walze und Lastwagen zu einer breiten, befahrbaren Waldstrasse ausgebaut, sauber planiert und mit einem sandigen Belag versehen. Kein Zweifel: Diese Strasse entstand, um mit Vollerntern in den Wald einzudringen und maschinell Bäume zu fällen, zu entasten, zu entrinden, zu zersägen und als Holzbriketts hinten wieder auszuscheissen – so ungefähr.

 

Die Strasse war und bleibt für mich ein Schock. Denn das verschwundene Weglein, nicht breiter als zwei Fussbreit, bedeutete für mich ein Stück Lebensweg. Wie oft bin ich da schon vorbeigekommen, als Bub mit Grossvater und Hund, als Jüngling allein mit Hund, manchmal auch ganz allein, später mit der Freundin, der Frau, den eigenen Jungs, gedankenschwer, fröhlich, unternehmungslustig, melancholisch, glücklich… Im eisigen und nebligen Winter, im westwindbewegten Vorfrühling, im milden Hochfrühling kurz nach dem Blattaustrieb, im warmen Sommerregen, im nussbraunen Herbst.

 

Links und rechts wuchsen die Bäume so nahe am Pfad, dass man sie mit beiden Händen gleichzeitig berühren konnte. Aus dem Boden erhoben sich die Rücken knorriger Wurzeln; man musste aufpassen, dass man nicht stolperte. Das war aber kein Problem, sondern bloss ein bisschen Waldmenschen-Akrobatik. Ich kannte jeden Busch, jede Buche, jede Eiche, jede Fichte, jede Birke persönlich. Sie gaben mir das Geleit durch all die Jahre. Jetzt sind sie der neuen Strasse gewichen.

 

Ich weiss: Der Wald rentiert nicht mehr. Und soll er trotzdem rentieren, braucht es effiziente Erntemethoden. Dazu wiederum braucht es befahrbare, breite Waldwege. Zeit ist Geld, und Weg ist Gewinn. Zack rein in den Wald mit Maschinen, zack raus mit den fertigen Brettern. So muss es heute wohl sein. Aber meinen Weg, meinen intimen Steinzeit-Trampelpfad, auf dem ich mich dem Geheimnis des Waldes nahe fühlte wie sonst nirgends, den hätten sie mir nicht nehmen dürfen.