
Der galiläische Wanderprediger Jesus von Nazareth, der von seiner Anhängerschaft als der göttliche Erlöser erkannt wurde, starb am Ende seines irdischen Wirkens als angeblicher Aufrührer am
Kreuz, wurde zu Grabe gelegt und erwachte am dritten Tag wieder zum Leben. So berichtet die Bibel über das Geschehen an Karfreitag und Ostern.
Ostern, das weiss man sogar in unserer fast zu hundert Prozent säkularen Gesellschaft zumindest ansatzweise (noch), hat also nicht nur mit vier freien Tagen, der Massenreise ins Tessin und dem
Osterhasen zu tun, sondern irgendwie auch noch mit dem Christentum. Entsprechend kommt es im Vorfeld der Feiertage vor, dass Menschen gemeinsam über die eigentliche Bedeutung von Ostern
nachdenken und dabei auch Sachverständige zu Wort kommen lassen; das ist erfreulich.
Oftmals einigt man sich bei solchen Gesprächen auf die Formel, dass die Auferstehung Jesu eine Metapher sei – ein Sinnbild dafür, dass es uns Menschen im Leben nach Tiefschlägen und Misserfolgen
irgendwann auch wieder besser geht. Vom Dunkel ins Licht. Nach em Räge schynt d’ Sunne, duli, duli, duli ho… So etwas in dieser binsenweisen Art. Deutlicher glaubt man heutzutage nicht mehr
werden zu dürfen.
Ich halte das für schal, fade und falsch. Die Jünger Jesu sprachen nicht metaphorisch von der Auferstehung. Sie hielten sie nicht für ein blosses Sinnbild, auch nicht für ein Gerücht oder eine
Suggestion. Für sie war es eine leib- und wahrhaftige, durch persönliche Begegnungen beglaubigte Auferstehung. Ein Wunder.
Die Menschen damals lebten in einer Zeit, in der die Vorstellung des Wunderbaren tief in den Alltag hineinwirkte. Es gab zahlreiche Wander- und Wunderprediger, die mit dem Irrationalen auf
vertrautem Fuss standen, genau wie ihr Publikum auch. Die Leute waren den Fährnissen eines harten Alltags fast schutzlos ausgesetzt und dürsteten nach Wundern. Aber die Geschichte von der
Auferstehung Jesu, die war sogar für damalige Zeiten heftig. Viele Menschen hielten sie für Unsinn. Es war und ist eine unglaubhafte und damit eine unglaubliche Geschichte.
Ich persönlich liebe sie gerade als das: als unglaubliche Geschichte. Es ist eine Geschichte des Irrationalen, besser des Über- oder Ausserrationalen. Eine Geschichte, die zeigt, dass Messen,
Wägen, Wissen und Beweisen nicht alles ist.
Einverstanden: Der heutige Mensch ist ein rationales Wesen – aber hoffentlich nicht nur. Eine Gesellschaft, die sich einzig über Empirie und Beweisbarkeit definiert, ist geistig verödet und
verarmt. Es gibt auch noch das ganz Andere, das Unerklärliche, das Irrationale, das Transzendente. Jener geheimnisvolle Bereich also, in dem das Unvorstellbare vorstellbar, das Unmögliche möglich
ist.
Wie weit wir das Unmögliche in unsere Denkwelt integrieren wollen, ist Sache jedes Einzelnen. Ich für meinen Teil habe keine Probleme mit der Vorstellung, dass die Sphäre der Rationalität, Logik und Wissenschaftlichkeit mit der Welt des «Unglaublichen» friedlich koexistiert. Ich erlebe es als bereichernd – und als befreiend. Frohe Ostern!